Das war der Untertitel eines NZZ-Artikels vom 31. Oktober 2023. Anlass des Artikels war eine SNB-Medienmitteilung, in der die SNB ankündigte, künftig weniger Zinsen auf Sichtguthaben zu zahlen. In «Econville-Sprache» sind die Sichtguthaben die «grüne Flüssigkeit» der Geschäftsbanken bei der Zentralbank. Sie werden auch allgemein als Reserven bezeichnet. Sie werden benötigt, um Zahlungen durchzuführen, denn jede Zahlung zwischen Banken muss auch in «grüner Flüssigkeit» erfolgen. Hätte theoretisch eine Geschäftsbank zu wenig «grüne Flüssigkeit» bzw. Sichtguthaben bei der Zentralbank, könnten Zahlungen eventuell ausgesetzt werden. Da Zahlungen aber essentiell sind in unserer Wirtschaft «zwingen» die Zentralbanken die Geschäftsbanken, ein Minimum an «grüner Flüssigkeit» zu halten. Das ist die Mindestreserve. Sie dient auch als Puffer, wenn eine Geschäftsbank einen Vertrauensverlust erfährt und viele Kunden ihre Gelder abziehen. Jeder Abzug von Geld geht auf Kosten von «grüner Flüssigkeit» (siehe Blogbeitrag zur Silicon Valley Bank). Sie gehört zur Aktivseite einer Geschäftsbank.
Aber warum gab es auf diese Mindestreserve Zinsen von der Zentralbank? Dafür müssen wir erst etwas ausholen, denn dies versteht man nur, wenn man die heutige Geldpolitik am kurzen Zinsende– also diejenige Geldpolitik, die mit dem Leitzins arbeitet – versteht. Banken leihen sich untereinander «grüne Flüssigkeit», um allen Liquiditätsansprüchen, also vorneweg Zahlungen, gerecht zu werden. Hat eine Geschäftsbank viele Kredite ausgegeben, werden höchstwahrscheinlich mehr Zahlungen fällig als bei einer Geschäftsbank, die nur wenige Kredite vergeben hat. Erstere benötigt eventuell «grüne Flüssigkeit» und letztere hat eventuell Reserven übrig, die sie gern zinsbringend verleihen würde. Dieser Verleih-Zinssatz bestimmt sich auf dem Interbankenmarkt, auf dem nur Geschäftsbanken tätig sind. Einige von ihnen benötigen Reserven, andere wollen die ihrigen ausleihen. Angebot und Nachfrage zusammen ergeben einen Preis, den Interbankenzinssatz. In der Schweiz heisst dieser Zinssatz SARON (Swiss Average Rate over Night). Er berechnet sich auf Grundlage echter, erfolgter Geschäfte zwischen Banken.
Die Höhe des Interbankenzinssatzes ist eine entscheidende Einflussgrösse auf die Vergabe von Krediten. Ist es billig, sich «grüne Flüssigkeit» zu leihen, werden mehr Kredite vergeben. Das Kreditvolumen sinkt, wenn dieser Zins hoch ist. Wenn Liquidität teuer ist, werden Banken die höheren Zinsen auch an Kreditnehmer weitergeben. Es gibt dann folglich weniger Kunden, die noch einen Kredit aufnehmen wollen.
Kredite für Realinvestitionen, bei denen neues Bankengeld entsteht, sind ein Treiber für Wirtschaftswachstum. Das Verhältnis von neuem Geld (über Kreditvergabe) und Outputzunahme (gemessen mit dem BIP-Wachstum) bestimmt – neben anderen Faktoren – massgeblich die Preisentwicklung. Ist die Inflation hoch, ist mehr Geld entstanden (z.B. über Kredite) und in die Wirtschaft geflossen, als dass der Output zunehmen konnte. Das viele Geld bläst die Preise auf. Diese Situation kann mit einem höheren Interbankzinssatz entschärft werden. Mit einem höheren Zinssatz werden Banken weniger neues Bankengeld schöpfen.
Das primäre Ziel einer Zentralbank ist Preisstabilität, also die Inflationsrate um die 2% zu halten. Folglich muss eine Zentralbank einen Einfluss auf diesen Interbankenzins haben. Ein hoher Zins bremst die Wirtschaftsentwicklung und damit Preissteigerungen. (Dahingegen beleben tiefe Zinsen Investitionen und damit die Wirtschafstätigkeit allgemein und üben Preisdruck nach oben aus.) Der kommunizierte Leitzins ist eine Zielgrösse für den Interbankenzins, aber eine Zentralbank kann die Geschäftsbanken nicht zwingen, zum Leitzins Geschäfte abzuwickeln.
Wie erreicht nun die Zentralbank ihr Ziel, einen Einfluss auf den Interbankenzins zu haben? Sie setzt «ganz einfach» eine untere und obere Zinsgrenze und automatisch kommt der Interbankenzins dazwischen zu liegen. Wenn eine Geschäftsbank 1% Zinsen auf ihre «grüne Flüssigkeit», die bei der Zentralbank liegt, bekommt, dann lohnt sich das Ausleihen von Reserven am Interbankenmarkt nur, wenn sie dort einen höheren Interbankzins bekommt, als wenn sie die Reserven einfach bei der Zentralbank liegen lässt. Somit muss der Interbankensatz über 1% liegen. Es gibt auch eine obere Grenze – der Zins, der fällig wird, wenn eine Geschäftsbank bei der Zentralbank direkt leiht. Diese obere Grenze ist aktuell nicht besonders relevant, denn seit Zentralbanken unkonventionelle Geldpolitik inkl. Notprogramme in den Corona-Zeiten betreiben, schwimmen die Geschäftsbanken in «grüner Flüssigkeit». Daraus folgt direkt, dass der Interbankzins unter den aktuellen Umständen immer nah an der unteren Zinsgrenze zu liegen kommt: Keine Geschäftsbank braucht so dringend Geld, dass sie bereit wäre, einen hohen Zins zu zahlen.
Für die Durchsetzbarkeit von Geldpolitik, bis eben hin zur Moderation von Preisen, ist es entscheidend, dass überhaupt Geschäfte auf dem Interbankmarkt stattfinden und dass sie zu einem Zinssatz erfolgen, der in der Nähe des Leitzinses liegt. Dieser Zins ist dann der Benchmark für andere Geschäfte z.B. für Kredite.
Stellen wir uns einmal vor, dass die untere Zinsgrenze 0% wäre. Auch wenn der Leitzins bei 1.75% liegt, würde sich wegen der vorhandenen Massen an «grünen Flüssigkeit» ein Interbankensatz nah bei 0% ergeben. Das liegt weit weg von den angepeilten 1.75%. Auch eine Erhöhung der Leitzinsen hätte wohl kaum eine Auswirkung, wenn die untere Zinsgrenze bei 0% verharrt.
Um das zu verhindern, wurde bis anhin die Sichtguthaben der Geschäftsbanken bis zu einer bestimmten Limite, die weit über der Mindestreserve liegt, zum Leitzins verzinst. Gelder über die Limite hinaus, wurden nur noch mit 1.25% verzinst. Folglich ergibt sich eine untere Zinsgrenze, die unter dem Leitzins liegt (ein gewichteter Mittelwert von 1.75 und 1.25%). Auch wenn nun der Interbankenzins nah an der unteren Grenze zu liegen kommt, ist er doch hinreichend nah am gewünschten Leitzins .
Die Staffelung der Verzinsung (siehe nächste Grafik) auf den Sichtguthaben hat noch einen zweiten, wichtigen Effekt: Banken, die «grüne Flüssigkeit» über der Limite besitzen, haben den Anreiz, ihr Geld an Banken zu verleihen, die weniger als ihre Limite haben. Unter der Limite lässt sich risikolos maximal 1.75% Zinsen verdienen, mit Geld über der Limite nur 1.25%. Liegt der Interbankenzins dazwischen, verdient eine verleihende Bank (mit Geld über der Limite) mehr Zinsen, als wenn sie es bei der Zentralbank liegen lässt. Aber warum sollte eine andere Bank «grüne Flüssigkeit» annehmen, wenn es so viel gibt? Wenn eine Bank die Limite nicht ausfüllt, dann kann sie Geld annehmen und risikolos bei der Zentralbank für 1.75% Zinsen anlegen. Wenn sie beispielsweise nur 1.4% auf dem Interbankenmarkt zahlen muss, aber 1.75% auf die Sichtguthaben bekommt, lohnt sich das Geschäft. Der SARON als Interbankenzinssatz liegt momentan tatsächlich zwischen 1.75% und 1.25%, genau bei 1.7%. Banken, deren Sichtguthaben unter der Limite liegen haben also Interesse «grüne Flüssigkeit» von Banken anzunehmen, deren Geld die Limite überschreitet.
Die positiven Zinsen für die Mindestreserven der Geschäftsbanken lösten aber erhebliche Kritik aus. Die SNB zahlte in den ersten sechs Monaten dieses Jahres 3.4 Milliarden CHF an Zinsen (siehe Bericht des SNB Observatoriums).
«Wenn Banken dank SNB risikolose Gewinne einstreichen, die öffentliche Hand aber 2023 – und voraussichtlich auch 2024 – kein Geld von der SNB erhalten wird, sorgt das für öffentlichen Unmut. Dies auch deshalb, weil die Ökonomen des Observatoriums kaum Anhaltspunkte sehen, dass die Banken ihre Gewinne aus der Verzinsung von Reserven an die Kunden weitergeben, etwa mittels niedrigerer Gebühren oder höherer Zinsen auf Bankeinlagen.»
Aus der NZZ vom 31. Oktober 2023, „Von der Nationalbank gibt’s nicht mehr so viel Geld“
Die SNB reagierte auf diese Kritik, wie in der Medienmitteilung vom 31. Oktober zu entnehmen ist.
- Die Mindestreserve wird nun nicht mehr verzinst (sie macht aber sowieso nur einen sehr kleinen Teil der gesamten Reserven aus).
- Die Limite darüber wird gesenkt, so dass der Leitzins nur noch für den Teil des Geldes oberhalb der Mindestreserve bis zur Limite gezahlt wird (und das ist ein grosser Teil).
- Oberhalb dieser Limite gibt es keine Änderung: Es wird der Leitzins abzüglich 0.5%-Punkte gezahlt, also momentan 1.25%.
Mit diesen Änderungen sinkt folglich die untere Zinsgrenze massgeblich. Die spannende Frage ist nun, ob das Senken der unteren Grenze dazu führt, dass der Interbankenzins sich stärker vom Leitzins weg nach unten bewegt und somit wie eine Zinssenkung wirkt, oder ob er unbewegt bleibt. Ersteres ist zwar gut für Kredite, aber nicht gut für die Durchsetzbarkeit von Geldpolitik, und daran hängt die Preisstabilität unseres Geldes.