Stand der Zinspolitik im ersten Quartal 2024
Seit Oktober 2023 kannten die Aktienindizes nur einen Weg: nach oben. Sie waren getrieben von der Hoffnung, dass die Zentralbanken die Zinsen endlich wieder senken würden. Die Schweizerische Nationalbank (SNB) enttäuschte diese Hoffnungen nicht und setzte den Leitzins am 21. März 2024 von 1.75% auf 1.5%. Die Europäische Zentralbank hingegen nahm am 11. April keine Änderung ihrer Zinssätze vor. Die wenigsten Länder in der Eurozone hatten im März das Ziel von 2% Inflation erreicht, wobei die Inflation jedoch fast überall kontinuierlich sinkt.
In den USA verkündigte Jerome Powell, amerikanischer Notenbankchef, im April 2024, dass die Zinswende sich auf unbestimmte Zeit verzögere, denn die Inflation war im März gegenüber dem Februar überraschend von 3.2 auf 3.5% gestiegen (im Vergleich zum Vorjahresmonat). Damit entfernte sich die Inflation von ihrer magischen Zielmarke in Höhe von 2%. Ende März begannen die Anleger an den angekündigten Zinssenkungen der FED zu zweifeln, weil führende FED-Vertreter andeuteten, dass die Inflation sich in die falsche Richtung bewegen könnten. Das bestätigte sich am 10. April, als die neuen Inflationsdaten veröffentlicht wurden. Die Aktienwerte reagierten prompt auf die ersten geäusserten Zweifel: Sie fielen und erholten sich erst wieder ab dem 15. April, siehe Abbildung 1. Der deutsche DAX und der schweizerische SMI bewegten sich im Schlepptau des Dow Jones.
Die SNB hingegen ist selbstbewusst unterwegs, denn sie hat nicht nur eine Zinssenkung vorgenommen, sondern bereits zweimal die Zinszahlungen an Geschäftsbanken für ihre «grüne Flüssigkeit» eingeschränkt. Am 30. Oktober verkündigte sie, die Mindestreserve ab dem ersten Dezember nicht mehr zu verzinsen, siehe Blog dazu hier. Im April 2024 teilte sie mit, dass die Mindestreserve ab Juli 2024 höher ausfällt. D.h. ein grösserer Teil der Bankenreserven werden künftig weniger verzinst. Warum ist die SNB so mutig unterwegs und welche Effekte möchte sie mit Zinssenkungen und Erhöhung der Mindestreserve erreichen?
Warum ist die SNB so mutig, Zinssenkungen zu wagen?
Allem voran ist es natürlich die tiefe Inflation, die zur Zinssenkung geführt hat. Seit Sommer 2023 bewegt sich die Inflation in der Schweiz unter 2%, und im März 2024 war sie überraschend tief bei 1% (gemessen zum Vorjahresmonat). Das sind 0.2%-Punkte tiefer als im Februar. Der zweite Grund liegt im Erfolg, den Marktzins auf dem Interbankenmarkt (SARON) nah am Leitzins zu halten. Der Leitzins setzt sich also im Geldmarkt durch, obwohl die Verzinsung auf die Mindestreserve aufgehoben (siehe Blogeintrag hier) und der Leitzins am 22. März gesenkt wurde. Das sind beruhigende Nachrichten für die Schweizer Zentralbanker und untermauern die Richtigkeit der Zinssenkung. Zinssenkungen machen Kredite für Investitionen günstiger, und Investitionen treiben die Nachfrage und feuern damit die Wirtschaftstätigkeit an.
Gleich zwei Effekte mit Zinssenkungen und Erhöhung der Mindestreserve
Die unkonventionelle Geldpolitik, also das Aufkaufen von ausländischen Wertpapieren mit neu «gedruckten» Franken, führte in ein System mit Überschussliquidität. Es gibt ausreichend «grüne Flüssigkeit» bei den Banken. Mit Steigerung des Zinsniveaus in den positiven Bereich, die wegen der Inflation notwendig war, verdienen Banken ohne Anstrengung «Liquidität»: Ihre «grüne Flüssigkeit», die bei der SNB liegt, erntet Zinsen und dies verringert den Gewinn der SNB. Die Zinszahlungen erhöhen die Geldmengen auf den Girokonten der Geschäftsbanken. Auf der Aktivseite gibt es keine Gegenbuchung. Die Zinszahlungen kommen ganz einfach aus dem Gewinn bzw. der «Gewinnreserve», und diese befinden sich auch auf der Passivseite der Bilanz (man kann sich diese als Teil des Eigenkapitals der SNB vorstellen).
Somit schonen geringere Zinszahlungen nicht nur den Gewinn der SNB, sondern blähen auch nicht weiter die Überschussliquidität auf, die es so schwierig macht, den Leitzins durchzusetzen. Welche Bank handelt auf dem Interbankenmarkt mit «grüner Flüssigkeit», wenn es doch genügend davon gibt? Handel findet nur deswegen statt, weil – wie im Beispiel in Abbildung 2 – Bank A Reserven unter der sogenannten «Limite» besitzt, Bank B hingegen über der Limite (roter Strich in Abbildung 2).
Was ist mit der Limite gemeint? Besitzen Banken Reserven über der Limite, wie Bank B in Abbildung 2, dann wird das Geld über der Limite nur noch mit «Leitzins-0.5%-Punkte» verzinst. Unter der Limite, wie bei Bank A, werden die Reserven mit dem Leitzins verzinst, wobei die Mindestreserve davon ausgenommen ist. Die Mindestreserve «erntet» immer 0% Zinsen. Die Limite entspricht einem Vielfachen der Mindestreserve. Die Mindestreserve ist von Bank zu Bank unterschiedlich hoch, denn sie ist abhängig von der Menge der kurzfristigen Verbindlichkeiten, die eine Geschäftsbank hält. Folglich fällt auch die Limite bzw. der Schwellenwert unterschiedlich hoch aus.
Abbildung 2 zeigt, dass es sich für Bank A lohnt, «grüne Flüssigkeit» von Bank B auf ihr Konto zu nehmen. Bank A ist bereit, mehr als 1% Zinsen für dieses ausgeliehene Geld an Bank B zu zahlen, denn sie verdient damit 1.5% auf ihrem SNB-Konto. Somit kann Bank B mehr als die 1% Zinsen verdienen, d.h. mehr, als wenn sie das Geld auf ihrem eigenen SNB-Konto liegen lassen würde.
In Abbildung 3 ist gut ersichtlich, dass der SARON sich mit dem Leitzins bewegt. Die Zinssenkung am 22. März 2024 macht das besonders deutlich. Der Leitzins setzt sich durch; und das, obwohl seit Spätherbst 2023 keine Zinsen mehr auf die Mindestreserve gezahlt werden.
Diese gute Entwicklung ermutigte die SNB, weiter an Zinszahlungen zu sparen. Die NZZ titelte am 3. April «Die SNB spart bei den Banken – Die Erhöhung der Mindestreserven führt zu geringeren Zinszahlungen». Hier lohnt sich sparen für die SNB in der Tat, denn es handelt sich um grosse Beträge, die die Banken ohne grossen Einsatz erhalten. Im Jahr 2023 wurden 7.4 Mrd. Franken an Zinsen auf Sichtguthaben an die Banken gezahlt. Teilt man diesen Betrag durch die Anzahl der verschiedenen Banken in der Schweiz, d.h. 235 Banken, erhielte jede Bank im Durchschnitt 31.5 Mio. an Zinszahlungen. Das scheint nicht wenig, auch wenn diese Zahl natürlich nicht berücksichtigt, dass diese Banken unterschiedlich gross sind. Ein weiterer Benchmark für die 7.4 Mrd. sind die Ausschüttungen der SNB an den Bund. In der momentan gültigen Vereinbarung zwischen der Nationalbank und dem Finanzdepartement ist eine maximale Ausschüttung von 6 Mrd. Franken pro Jahr vorgesehen (siehe hier). Das ist insgesamt weniger als die 7.4 Mrd. an Zinszahlungen, die die SNB 2023 geleistet hat. Die 7.4 Mrd. sind somit ein ordentlicher Batzen. Ohne diese Zinszahlungen wäre auch der Gewinn der SNB im Jahr 2023 positiv gewesen. Der Verlust betrug 3.2 Mrd. Franken.
Die SNB hat nun kommuniziert, dass sie auf Juli 2024 die Mindestreserve erhöhen wird, die Banken aus regulatorischen Gründen bei der SNB halten müssen. Zusätzlich streicht die SNB eine Ausnahme zur Berechnung der Mindestreserveerfordernisse. Dadurch erhöht sich die Mindestreserve (der hellgrüne Anteil in Abbildung 2 nimmt zu).Ein grösserer Teil der Giroguthaben der Geschäftsbanken bei der Zentralbank wird also zu 0% verzinst. Die Limite bzw. der Schwellenwert ergibt sich aus einem Vielfachen der Mindestreserve und bewegt sich ebenfalls nach oben. Folglich haben Banken mit «grüner Flüssigkeit» unterhalb der Limite (wie in Abbildung 2 Bank A) mehr Spielraum, Gelder anzunehmen, bei aber gleichzeitiger Verringerung der Geldmenge über der Limite (Bank B in der gleichen Abbildung). Die Geldmenge über der Limite verringert sich deshalb, weil der Schwellenwert steigt. Insgesamt werden Geschäftsbanken wohl weniger Zinszahlungen auf ihre «grüne Flüssigkeit» bekommen. Ob diese Verschiebungen zu mehr oder weniger Handel auf dem Interbankenmarkt führen wird, wird sich zeigen.
Geringere Zinszahlungen sind an sich wünschenswert in einer Welt der Überschussliquidität, denn sie schonen den Gewinn der SNB. Nun muss sich aber wieder beweisen, dass die Leitzinsen sich durchsetzen lassen bzw. dass der SARON sich nicht zu weit vom Leitzins entfernt. Dann zahlt sich das selbstbewusste Vorgehen der SNB wirklich aus.