In den Wirtschaftsnachrichten wurde in der letzten Aprilwoche prominent darüber berichtet, dass der bekannte deutsche Mittelständler Viessmann (Produzent von Heizungssystemen und insbesondere Wärmepumpen) seine Wärmepumpensparte an das amerikanische Unternehmen Carrier Global verkauft hat. Dieser Fall ist ein aktuelles Beispiel dafür, wie wichtig Kapitalmärkte für Realinvestitionen sind – ein Thema, das wir im Buch im Kapitel 6 und 7 diskutieren. Realinvestitionen sind ein Haupttreiber für Wachstum und im Endeffekt auch für Arbeitsplätze. In unserem Buch gehören die Realinvestitionen deswegen zu den «Protagonisten». Sie sind eine wichtige Quelle von Geldnachfrage und Geldschöpfung bei kreditfinanzierten Investitionen, die sich dann (hoffentlich) in Wachstum umwandeln. Damit ist ein weiteres wichtiges Thema in unserem Buch berührt: das Verhältnis von Geldmengen- und Outputänderung als eine wichtige Einflussgrösse für die Inflation.

Zurück zum Fall Viessmann. Die Firma hatte einen enormen und schnellen Investitionsbedarf. Der Grund dafür ist offensichtlich und lässt sich wie folgt in den Nachrichten finden. Hier zitieren wir aus dem Manager Magazin vom 26. April:

«Die Nachfrage nach Wärmepumpen steigt so rasant, dass sehr schnell neue Fertigungen gebraucht werden. Gleichzeitig bricht das traditionelle Kerngeschäft mit Gasheizkesseln aufgrund neuer gesetzlicher Bestimmungen in Deutschland innerhalb kürzester Zeit weg. Der junge Viessmann-CEO hatte daher eine Milliarde Euro an Investitionen in das Zukunftsgeschäft binnen drei Jahren angekündigt. Aber das hätte wohl nicht gereicht, um mitzuhalten. […] Der boomende Markt – bis 2030 sollen Prognosen zufolge europaweit 30 Millionen zusätzliche Wärmepumpen installiert werden – lockt finanzstarke Wettbewerber. Um die Stückzahlen schnell zu steigern, investieren auch sie zurzeit massiv in den Ausbau ihrer Kapazitäten. […] „In Zukunft zählen noch mehr als heute Größe und Stückzahl, auch für Viessmann“, heißt es im Umfeld des Unternehmens. […] Die meisten Rivalen haben einen zentralen Vorteil: Sie kommen einfacher an Geld. Börsengelistete Firmen können leicht über den Kapitalmarkt an neue Mittel kommen, Konzerne wie Bosch bei Bedarf ihre Investitionen in das Zukunftsgeschäft erhöhen. Viessmann war vor allem auf Banken angewiesen, die zuletzt eher vorsichtig agierten – vor allem, wenn das Stammgeschäft wie mit den Gasheizkesseln erkennbar gestrig erscheint.»

Wo findet sich der Bezug zum Buch? Franz Heureka aus dem ersten Kapitel benötigt Fremdfinanzierung für seine Idee des Pfluges, weil seine eigenen Mittel bzw. seine eigenen Gemüsekisten nicht ausreichen. Modern übersetzt heisst dies, dass die Idee des Pfluges nicht (nur) mit Eigenkapital finanziert werden kann. Heurekas Nachbar ist bereit, Finanzierung beizutragen. Die Realinvestition in das Pflugprojekt ist ein grosser Erfolg und die Econviller Wirtschaft wächst. Der «Marktplatz», auf dem sich Franz und sein risikobereiter Nachbar-Investor finden, ist ein Kapitalmarkt im Sinne von Primärmarkt: Es fliesst zum ersten Mal (also «primär») Kapital in Form von Gemüsekisten zum Produzenten. Damit gehören funktionierende Kapitalmärkte zu den Fundamentalfaktoren von Wirtschaftswachstum.

Stellen wir uns nun das Wärmepumpengeschäft von Viessmann als eine grosse Investition analog zum Pflugprojekt vor, die ohne Fremdfinanzierung nicht gestemmt werden kann. Da das einnahmenstarke Gaskesselgeschäft aufgrund der Klimapolitik bei Viessmann wegbricht, ist der Fremdkapitalbedarf enorm. Hinzu kommt, dass die Konkurrenz nicht schläft und neue Kapazitäten sehr schnell aufgebaut werden müssen. Genau diese Funktion erfüllt ein Kapitalmarkt: auf die Schnelle viel Investitionskapital bereitstellen, die rein mit dem Kapital der Eigentümer nicht finanzierbar wären. Doch es kam anders; Viessmann nutzte diesen Kapitalmarkt nicht, das zusätzliche Kapital kommt von der amerikanischen Firma, die das Wärmepumpengeschäft von Viessmann gekauft hat und die Finanzierung wird somit den amerikanischen Kapitalmärkten überlassen. Warum? Deutschen Mittelständlern fehlt traditionell die Nähe zu Kapitalmärkten. Sie stützen sich stark auf das Hausbankmodell; dieses ist hierzulande im Gegensatz z.B. zu den USA stark vertreten. (Das gleiche gilt übrigens auch für die Schweiz und Österreich.) Da Banken momentan vorsichtig agieren, konnte Viessmann das nötige Geld für die grossen Investitionen in den Umbau der Firma und die Erweiterung der Produktionskapazitäten bei den Wärmepumpen nicht bei der Hausbank auftreiben.

Auch die Kaufsumme von 12 Mrd. Euro war ein entscheidender Faktor für den Verkaufsentscheid. Es scheint ein unschlagbares hohes, eventuell einmalig hohes, Angebot gewesen zu sein, welches andere Finanzierungslösungen in den Schatten stellte und der die Eigentümerfamilie nicht widerstehen konnten. Auch wenn damit ein wichtiger Teil eines deutschen erfolgreichen Mittelständlers an die USA geht, könnte es die Verbraucher freuen: Die Produktion an Wärmepumpen kann nun viel schneller hochgefahren werden und durch Skaleneffekte können die Verkaufspreise sinken. Wenn dann die Wartezeiten sich auch noch spürbar verkürzen, ist die Kundschaft glücklich.

Mehr zum Thema fehlende Nähe zu Kapitalmärkten

Viessmann ist keine Aktiengesellschaft, sondern eine GmbH & Co. KG. Die Erhöhung von Kapital durch die Emission neuer Aktien ist somit nicht möglich. Der Aktienmarkt als Kapitalmarkt fällt also für Viessmann aus. Zwar kennt auch eine GmbH eine ordentliche Kapitalerhöhung, indem die Gesellschafter neues Kapital einschiessen, aber in der Regel werden mit der Ausgabe neuer Aktien wesentlich grössere Geldbeträge erzielt als mit Kapitalerhöhungen von Gesellschaftern.

In den USA ist es verbreiteter, Aktien zu emittieren, weil es eine grössere Nachfrage bzw. grössere Nähe zu Kapitalmärkten gibt. Zwei Gründe dafür sind: 1) Aktien sind schlichtweg beliebter bei Privatanlegern und 2) Ersparnisse für die Rente werden in Amerika viel häufiger an Kapitalmärkten investiert. In Deutschland besitzen 18% der Bevölkerung Aktien (siehe Statista), in den USA sind es 25% (siehe «Survey of Consumer Finances (SCF)», FED). In Deutschland existiert ein gegenüber den USA stark ausgeprägtes staatliches umlagefinanziertes Rentensystem. Zukünftige Rentenansprüche werden somit weniger an Kapitalmärkten platziert. Nach der Finanzkrise im Jahr 2010 besassen nur 13% der deutschen Bevölkerung Aktien.

Eine fehlende Nähe zu Kapitalmärkten wird aber oft primär mit Unternehmen, also der Anbieterseite, verbunden. Insbesondere gilt dies für den deutschen Mittelstand, wie auch aus dem zitierten Text aus dem Manager Magazin oben ersichtlich wird. Aber ohne starke Nachfrage für Aktien ist dieser Kapitalmarkt auch weniger attraktiv. Zu einem attraktiven Markt gehören immer beide Seiten: Anbieter und Nachfrager.

Viel weniger bekannt ist hierzulande die Finanzierung von Investitionen über Anleihen (im Gegensatz zur Ausgabe von neuen Aktien). Es gehört zur finanziellen Allgemeinbildung, Aktien und Anleihen unterscheiden zu können. Aktien sind Anteile am Unternehmen, für die in der Regel Dividendenzahlungen geleistet werden. Aktien haben nichts mit dem Konzept von Zinsen zu tun. Anleihen «leben» vom Konzept der Zinsen. Sie versprechen eine fixierte Auszahlung in der Zukunft, für die die Käuferpartei heute einen Preis bezahlt (in der Regel werden noch fixierte Kuponzahlungen als % vom Auszahlungsbetrag pro Jahr ausgezahlt). Für die Ausgabe von Anleihen muss das Unternehmen nicht an der Börse kotiert sein oder eine Aktiengesellschaft werden. Auch Aktien können übrigens ohne Börsenkotierung ausgegeben werden. In Kapitel 6 im Buch stellt sich Franz Heureka wortwörtlich auf den Marktplatz und preist seine Anleihe(n) zur Finanzierung seines Sensenprojekts an: Auf der Anleihe prangt ein Auszahlungsbetrag in der Zukunft, und er sucht eine Investorenschaft, die jetzt bereit ist, einen Betrag für die Anleihe inkl. Auszahlung in der Zukunft zu zahlen, um sein Projekt mit dem so erhaltenen Geld zu realisieren. (Natürlich wird in real existierenden Märkten nicht nur eine einzige Anleihe mit einem grossen Betrag ausgegeben, sondern sie wird in viele kleinere Einheiten gestückelt.) Die Erstausgabe von Anleihen gehört ebenfalls in den Bereich des Kapitalmarktes im Sinne von Primärmarkt.

Funktionsweise einer Anleihe in Econville

Viessmann hätte also theoretisch auch Anleihen zur Finanzierung seiner Investitionen ausgeben können. Zwar existiert sogar ein spezieller Markt für Mittelstandsanleihen in Deutschland, dieser fristet aber nicht nur ein Nischendasein (siehe u.a. hier), sondern hat auch noch einen schlechten Ruf. Einige Unternehmen sind insolvent gegangen und Anleger bangen um ihre Auszahlung der Anleihe (siehe hier). Dieser Markt scheint verständlicherweise keine ernsthafte Alternative für Viessmann gewesen zu sein. Das unterstreicht die Dringlichkeit einer Europäischen Kapitalmarktunion, die in Planung ist. Hier heisst es:

«Die EU ist dabei, einen Binnenmarkt für Kapital in allen Mitgliedstaaten zu schaffen, um Finanzmittel zur Stimulierung des Wachstums zu mobilisieren und Bürgerinnen und Bürgern Investitionsmöglichkeiten mit einem hohen Maß an Anlegerschutz zu eröffnen.»

Das Zitat fasst kompakt zusammen, was gute Kapitalmärkte leisten: Wachstum durch leichtere Finanzierung von Projekten (und damit Sicherung von Arbeitsplätzen) und Investitionsmöglichkeiten für Nachfrager. Ein Markt ist nur dann attraktiv, wenn Anbieter- und Nachfrager ein «Gewinnpotenial» auf einem Markt sehen.

Der europäische Markt ist bis jetzt fragmentiert und damit schwer zugänglich: Es herrschen unterschiedliche Rechtsgrundlagen z.B. zum Anlegerschutz oder dem Insolvenzrecht. Diese müssen harmonisiert werden, um Marktintransparenz abzubauen und um einen effizienten und wettbewerbsfähigen europäischen Kapitalmarkt zu bilden. Mit einem attraktiven Kapitalmarkt hätte sich vielleicht auch Viessmann auf den Marktplatz gestellt, um seine Anleihen anzupreisen, genau wie Franz Heureka aus der Econville-Geschichte – anstatt sein Wärmepumpengeschäft zu verkaufen.

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